Gernot Dilger, Schwäbische Jugend


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176 Seiten
Klappenbroschur
ISBN 978-3-940259-13-4
EURO 9,95

Gernot Dilger wurde am 13.06.1942 in Gaildorf geboren. Nach schwäbischer Kindheit und späterem Studium an der Karlshöhe Ludwigsburg arbeitete er in verschiedenen Bereichen der Diakonie. Im November 2008 feiert Bruder Gernot sein 50jähriges Dienstjubiläum.
Ständige Herausforderung suchend, stellte er sich in den 70er Jahren den sozialpolitischen und umweltpolitischen Aufgaben. Anfang der 80er Jahre gründete er den Arbeitskreis Umwelt und Recycling in der evangelischen Landeskirche Württemberg. In den 90er Jahren förderte er ökologische Projekte im In-und Ausland. Dabei konnte er seine Naturverbundenheit, seine Reise- und Abenteuerlust mit seinem ökologischen Engagement verbinden. Ob in Ghanas Tropenwäldern, im Mapuchegebiet in Chile oder in Grönlands Eiswüste lies er sich gern den Vergleich mit Reinhold Messner gefallen.
In den letzten Jahren besuchte er als Gaststudent die Freie Kunstschule Nürtingen. Es entstanden Kunstwerke in Malerei und Bildhauerei. Seine besondere Liebe galt von Anfang an dem Schreiben. 2004 veröffentlichte er den Lyrikband „Die Engelstrompete“.


Vorwort von Harry Walter

Der Titel des Buches bringt es auf den Punkt: Wer den Pietismus in die Wiege gelegt bekommen hat, muss für die weltliche Revolution nicht verloren sein. Der Ausdruck „Pietkong“, mit dem sich Herbert Wehner einst über seinen Parteigenossen Erhard Eppler lustig machte, kann unter selbstironischen Vorzeichen durchaus einen Erklärungsnotstand beseitigen: Wie viel Enge und moralische Rigidität muss man erfahren haben, um zum „Achtundsechziger“ werden zu können? Gernot Dilger, der hier den ersten Teil seiner Erinnerungen vorlegt, entstammt einer schwäbischen Bauernfamilie, deren mütterliche Seite tief im Pietismus verwurzelt ist. In dieser speziellen Form, sich das Leben schwerer zu machen als nötig - „dia gangad zom Lacha en dr Kellr“ - mögen viele Leser ihre eigene Prägung wiedererkennen, vermutlich auch dann, wenn sie sich zeitlich oder weltanschaulich weit davon entfernt glauben.
Einer Generation zugehörig, die mitten in den Krieg hineingeboren und deren Jugend dann doch von der Thermik des Wirtschaftswunders erfasst wurde, lässt uns Gernot Dilger teilhaben an den Freuden und Nöten eines von Fluchtinstinkten und erotischer Abenteuerlust getriebenen, letztendlich aber doch immer wieder im Schoß der Kirche landenden, „Lockenkopfes“ – worunter man sich die am besten noch von Bob Dylan verkörperte Unlust vorzustellen hat, sich die Flausen austreiben zu lassen. Die Welt, die sich dem Heranwachsenden zwischen den hehren Glaubenswahrheiten der Mutter, dem Feldwebelgebaren des Vaters und dem als Hallodri verschrienen Onkel, zwischen Wildwestromanen, Stuttgartausflügen und Bibel auftut, enthält jedenfalls den Stoff, aus dem die Träume sind.
Was den frisch konfirmierten Buben zunächst einmal mit dem neuen Dreigangfahrrad über die Schwäbische Alb ins Oberland, dann über Aachen nach Holland, später per Anhalter nach Italien, auf dem Schienenweg nach Griechenland, mit dem Schiff nach Ägypten, per Flugzeug nach Israel und den Reformbewegten schließlich auf den Kirchentag nach Berlin treibt, ist unschwer nachzuvollziehen.

Das in Schlagern verbreitete Fernweh der fünfziger Jahre findet hier allerdings zu seiner individualtouristischen Variante; eine Entwicklung, die in den sechziger und siebziger Jahren die Jugendlichen der Wohlstandsländer in immer exotischere Fernen getragen hat, auch in mentaler Hinsicht. Die Idee beispielsweise, Urchristentum und Urkommunismus in eins zu denken, wurde in den südamerikanischen Befreiungstheologien jener Zeit politisch scharf gemacht und hierzulande von den radikaleren Elementen innerhalb und außerhalb der Kirche begierig aufgesogen. Etwas von dieser Neubesinnung auf die revolutionären Wurzeln des Christentums hat Gernot Dilger in seinen zahlreichen kirchlichen Funktionen in die Schulen und in die Gemeindearbeit tragen können. Als progressiver, will sagen: traditionsabgewandter Religionslehrer war er bei seinen Schülern beliebt, nicht zuletzt wegen seiner Fabulierlust, mit der er den als langweilig verschrienen Unterricht durch eine hohe Zufuhr von „Selbsterlebtem“ würzte.
Doch anders als bei der noch von ihren Kriegserlebnissen zehrenden Vorgängergeneration waren diese Geschichten nicht retrospektiv orientiert, sondern konnten den nur wenig jüngeren Schülern offenbar das Gefühl vermitteln, das Leben habe erst angefangen und stecke noch voller Abenteuer. Es kommt eben, hätte er ihnen sagen können, darauf an, was man jeweils daraus macht.
Ein Teil dieser Geschichten ist wohl auch in das vorliegende Buch eingegangen. Einigen merkt man an, dass sie nicht zum ersten Mal erzählt worden sind. Und dennoch gleiten sie an keiner Stelle ins gefällig Anekdotische oder Glattgeschliffene ab. Auch versucht der Autor nie, das Erlebte ins allzu Sinnfällige zu übersetzen. Der nicht streng chronologisch angeordnete Text lebt von der genauen Alltagsbeobachtung und von den bisweilen ins Skurrile hinüberspielenden Personenporträts. Es ist jedenfalls eine Kunst für sich, eine stinknormale Konfirmation so zu schildern, dass sie nicht mehr, aber auch nicht weniger bedeutet als die Summe all ihrer Peinlichkeiten – und dennoch durchblicken zu lassen, dass man einzig auf diese rituelle Weise die Schwelle zur Welt der Erwachsenen übertreten konnte.

Harry Walter

 
















































Ludwigsburger Kreiszeitung 11.04.2009

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